Ein Nachtrag von Katja Erlspeck-Tröger, Fanprojekt Nürnberg:
Am Ostersonntag, den 5. April 2015, spielte der 1. FCN bei RB Leipzig. Die Kommunikation im Vorfeld des Spieles zwischen allen beteiligten Institutionen (Fanprojekte, Fanbeauftragte, Vereine usw.) war gut. Die Anreisesituation unserer Nürnberger Fans durch einen organisierten Fanzug der Nürnberger Ultras (UN94) und durch Fanbusse sowie die zu erwartende hohe Anzahl von fast 5.000 Fans waren dem Veranstalter RB Leipzig bekannt, da die Karten im Vorfeld ja auch durch RB Leipzig verkauft wurden.
Dementsprechend erwartet man als Fanprojekt am Spieltag eine gute Kommunikationsstruktur und eine sinnvolle Einsatzstrategie seitens des gastgebenden Veranstalters. Genau das konnte ich an diesem Spieltag leider nicht erkennen.
Um ca. 10:30 Uhr kam ich im Vorfeld mit unserem Fanbeauftragten am Gästeeingang des Stadions an. Nach einem kurzen Rundgang in und um den Stadioneingangsbereich fand um ca. 11:15 Uhr die erste Sicherheitsbesprechung statt, an der auch ich teilnahm. An der Besprechung nahmen alle relevanten Institutionen, die rund um den Fußballspielbetrieb zuständig sind, teil. Auch die Teams von Feuerwehr und Rettungskräfte wurden auf ihre Vollzähligkeit und Bereitschaft hin abgefragt.
Ab 11:30 Uhr kamen die Fans, die mit dem Zug gefahren sind, am Stadion an – nach einer ruhigen Zugfahrt und einem zivilisierten Shuttletransfer, der auf Wunsch der örtlichen Polizei von unseren Fans ohne jegliches Veto angenommen wurde. Eigentlich wäre ein Fanmarsch zum Stadion geplant gewesen! Auch die Reisenden der Fanbusse trafen am Stadioneinlass ein und warteten im Vorfeld des Stadioneingangs.
Um ca. 11:45 Uhr erfolgte an einem Seiteneingang die Kontrolle der Fanmaterialien und die Brandschutzkontrolle der Choreografie, an der ein Fanbeauftragter des 1. FCN, ein Mitarbeiter des Fanprojekts Nürnberg und, wie vereinbart, ca. acht Ultras teilnahmen.
Ungefähr zeitgleich startete der Gästeeinlass. Die Fans stellten sich vor der Vereinzelungsanlage mit ca. sechs Drehkreuzen an. Hinter den Drehkreuzen standen viele Ordner und nahmen jede einzelne Person mit einer Leibesvisitation in Empfang. Die Fans mussten ihre Schuhe ausziehen und die T-Shirts bis auf die sichtbare Haut nach oben ziehen.
Nach ca. drei Minuten kippte die Situation, und plötzlich brach eine Auseinandersetzung zwischen Ordnungsdienst und Fans aus. Die Polizei schritt ein. Dabei kam es zu massivem Pfeffersprayeinsatz wahllos in die Menge. Fans wurden durch einen seitlichen Personaleingang wieder von der Polizei und dem Ordnungsdienst vor das Stadion gebracht bzw. geschleift.
Ein solches Durcheinander von Ordnern und Polizisten auf so einem beengten Raum habe ich noch bei keinem Auswärtsspiel wahrgenommen. Eine vernünftige Kommunikation und eine koordinierte, sinnvolle Einsatzstrategie waren mir nicht ersichtlich. Auch der beengende Raum zwischen Drehkreuzen und Stadioninnenraum, der unmittelbar in einen Treppenaufgang und einen Erdhügel mit ca. 40%iger Steigung mündet, trägt nicht gerade zu einer Deeskalation bei.
Der Einlass wurde für ca. 17 Minuten nach der Auseinandersetzung unterbrochen, um allen Einsatzkräften ein Sammeln zu gewährleisten. In dieser Zeit kämpften unsere Fans, die Pfefferspray oder Schläge abbekamen, mit Atemnot, Augenproblemen und anderen Blessuren. Leider gab es kaum Sanitätspersonal in der Gästekurve, was schon zu diesem Zeitpunkt zu einer mangelhaften Notfallversorgung führte. Dringend zu empfehlen wäre eine Wasserversorgung für den Notfall im Gästeeingang.
Als der Einlass wieder aufgenommen wurde, wurden die Kontrollen inklusive der massiven Leibesvisitationen fortgesetzt. Selbst Kinder mussten die Schuhe ausziehen und ihre T-Shirts bis zur sichtbaren Haut nach oben ziehen. Diese Kontrollen geschahen teilweise auch in einem separaten Nebengebäude, das man aber nur durch den seitlichen Personaleingang erreichen konnte und wofür die Fans wieder den Stadioninnenraum verlassen mussten. Fans, die sich weigerten, eine Leibesvisitation zu machen, wurden des Stadions verwiesen.
Probleme gab es auch bei vielen Fans, die gültige Tickets hatten, weil diese an der Scanneranlage nicht funktionierten. Auch diese Fans wurden von den Ordnern wieder weggeschickt. Die Problematik hierbei war, aus der in zwischen massiven Menschenmenge überhaupt wieder hinauszugelangen.
Die nicht weniger werdende Fanmenge vor den Vereinzelungsanlagen stellte nach ca. 90 minütiger Wartezeit für unsere Fans auch ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, denn die Menge drückte von hinten auf die Fans im vorderen Bereich an den Einlassgittern. Dies hätte im Vorfeld schon durch vernünftig abgestufte Absperrmaßnahmen verhindert werden können, gerade wenn man als Veranstalter 5.000 Gästefans erwartet.
So kam, was kommen musste: Die ersten Personen klappten in der Menge zusammen, darunter eine ca. 50- jährige Frau, die fast bewusstlos vor den Drehkreuzen lange Zeit warten musste, bis sie nach innen in den Stadionraum geholt wurde. Ihr in Wut und Angst versetzter und zu recht aufgebrachter Ehemann wurde von Ordnern festgehalten und beschimpft. Er musste von mir beruhigt werden, was aber nicht unbedingt gut funktionierte, da er verständlicherweise zu seiner verletzten Frau wollte.
Die Frau musste im Utensilien-Container, der sich auch im beengten Raum am kleinen seitlichen Personaleingang befindet, ca. 20 Minuten auf einen Sanitäter warten. Da ihr Mann nicht in den Container durfte, versicherte ich ihm, mich um seine Frau zu kümmern, was ich dann auch tat.
Die Frau äußerte ständig, sie bräuchte dringend etwas zu trinken und rang am Boden liegend im Container um Luft. Als Antwort vom Ordnungsdienst bekam sie zu hören, sie hätten kein Wasser. Ich griff nach der nächstbesten Wasserflasche, die dort herumstand, und versorgte die Frau. Anschließend wirkte ich massiv auf den Ordnungsdienst ein, endlich den Ehemann in den Container zulassen, was dann auch endlich umgesetzt wurde.
Unser Fanbeauftragter und ich drängten darauf, dass wenigstens ein Sanitätsfahrzeug zusätzlich zu den zwei Sanitätern im Container, die anscheinend für 5.000 Personen zuständig waren, für die Fanmenge außerhalb des Stadions zur Verfügung gestellt wird. Schließlich galt es, die Verletzten auch vor dem Stadion zu versorgen, bzw. Vorsorge zu treffen für größere Notfälle, die jederzeit hätten passieren können.
Nach einer Viertelstunde fragte ich im Container den Sanitäter, wann denn endlich das Sanitätsauto kommen würde. Dieser versicherte mir, dass ein Wagen angefordert worden wäre. Er meckerte mich aber auch an, was ich denn erwarten würde, schließlich wäre Ostersonntag und die Rettungsstelle hätte doch sowieso schon alles an ehrenamtlichen Helfern, was zur Verfügung gewesen wäre, für diesen Spieltag zusammenkratzen müssen.
Dieser Satz hinterließ bei mir neben einem wütenden Fragezeichen hinsichtlich des Veranstalters auch ein sehr ungutes und verunsichertes Sicherheitsgefühl in Bezug auf den Umgang mit den Fans des 1. FC Nürnberg.
Nachdem übrigens auch Kinder beim Durchgehen durch die Vereinzelungsanlage und im Durcheinander von ihren Eltern getrennt wurden, gelang es irgendwann gemeinsam mit dem Fanbeauftragten die Kinder aus der Menschenmenge zu holen und sie ebenfalls über den kleinen Personaleingang zusammen mit einem Angehörigen in das Stadion zu lassen.
Daraufhin suchte ich den Security-Einsatzleiter auf, der für die Koordination beim Einlass und für die Entscheidungen in diesem Bereich zuständig war. Ich bat ihn, einen zusätzlichen Eingang zu schaffen. Ich erklärte ihm auch die Dringlichkeit meiner Bitte bzw. Empfehlung. Sein Kommentar zu der Situation war nur, dass er keinen weiteren Eingang öffnen werde. Er wolle seine Ordner nicht in Gefahr bringen und außerdem ginge die Aggression von unserer Seite aus, warum solle er das dann machen.
Ich sagte ihm, dass ich dies aus der Situation heraus dringend anraten würde. Schließlich drückte die Masse von hinten auf die Menschen vorne am Zaun. Ich sagte ihm auch, dass die Fans schon zwei Stunden dort stünden. Darauf sagte er, er wolle keinen Fansturm durch einen weiteren Seiteneingang riskieren.
Zu so einem beratungsresistenten Verhalten konnte ich mit meiner langjährigen Erfahrung als Mitarbeiterin im Fanprojekt Nürnberg nur den Kopf schütteln. Auch sah ich keinen ersichtlichen Grund, der dagegen gesprochen hätte, einen weiteren Eingang zu öffnen: Sicherheitskräfte und Polizei waren in großer Anzahl vor Ort, Absperrgitter standen ungenutzt auf der anderen Seite herum, über die ganz zu Anfang die Materialienkontrolle der Ultragruppierung erfolgte. Die Ressourcen wären also durchaus vorhanden gewesen, ebenfalls waren die relevanten Gruppierungen schon längst im Stadion.
Die Repression und Bestrafung unserer restlichen Fans am Einlass, war aus Sicht des Fanprojekts absolut unnötig. Aus fachlicher Sicht wurde darüber hinaus eine gefährliche Situation nicht sachlich bewertet und entschärft. Im Gegenteil, diese gefährliche Situation wurde mit voller Absicht verursacht.
Es war nur der guten Zusammenarbeit des Fanprojekts Leipzig, des Fanprojekts Nürnberg und des Fanbeauftragten des 1. FCN sowie dem disziplinierten Verhalten unserer wartenden Fans zu verdanken, dass die Situation nicht eskalierte.
Das Fanprojekt Nürnberg empfiehlt daher dringend eine Überprüfung des Gästeeingangs, des Ordnerpersonals und der Einsatzstrategie bei Großveranstaltungen des Veranstalters RB Leipzig.
Erfahrungsberichte können jederzeit an uns geschickt werden.